«Ich bin keine Sozialromantikerin»
Alumni Porträts
Suzanne Thoma lernte schon als Kind, sich gegen Widerstände durchzusetzen. Mit Sachkenntnis, Ausdauer und Ehrgeiz bahnte sie sich ihren Weg zur CEO der BKW.

Suzanne Thomas Werdegang bis an die Spitze der BKW, des drittgrössten Energiekonzerns der Schweiz, ist zugleich eine Geschichte der überwundenen Widerstände und andauernden Behauptung. Thoma wuchs in den 1970er-Jahren in Zug auf; einem Innerschweizer Flecken, wo die gesellschaftlichen Konventionen den Wirkungsradius einer Frau weitgehend auf den Haushalt beschränkten. Sie erinnert sich noch genau, als der Lehrer ihrer älteren Schwester anrief und der Mutter beschied: Ihre Tochter habe zwar die Prüfung fürs Gymnasium bestanden, aber «zum Härdöpfel schellä bruchts doch kei Matur». Für Thoma war solches Geschwätz schon damals völlig inakzeptabel. Die Bestätigung, dass es Frauen durchaus zu etwas bringen konnten, kam 1979 mit der Wahl von Margaret Thatcher zur britischen Premierministerin. Ein Schlüsselerlebnis für Thoma und eine wohltuende Verheissung, gerade weil Thatcher eine Europäerin war und nicht einem Königs- haus, sondern der Mittelschicht entstammte – genauso wie sie selbst.
Die Suche nach «kühnen Dimensionen»
Thoma interessierte sich früh für Politik, Wirtschaft und die Unternehmenswelt. Die goldenen 1980er-Jahre der Marktliberalisierung und erweiterten unternehmerischen Freiheiten brachen an. «Ich hatte damals das Gefühl, dass die wichtigsten Veränderungen in der Gesellschaft aus der Wirtschaft kommen. » Aber wieso hat sie sich dann nach der Matur nicht für ein Wirtschaftsstudium entschieden, zum Beispiel an der HSG, die von vielen als Garant für eine Unternehmerkarriere erachtet wird? «Das sehe ich nicht so eng», widerspricht Thoma. «Schauen Sie sich die Unternehmensleitungen in der Schweiz an. Sehr viele sind mit Absolventen der ETH besetzt.» Die damaligen Gründe für ein Ingenieurstudium lagen aber woanders: Ein Gymnasiallehrer hatte Thomas Interesse an der Chemie geweckt. Gleichzeitig hegte ihr Vater den Wunsch, dass seine Tochter «etwas Rechtes» studiert – und das war für den ETH-Physiker gleichbedeutend mit einem ETH-Studium. Als ihr schliesslich eine Broschüre der Hochschule in die Hände fiel mit dem Titel «Kühne Dimensionen», wusste sie: Hier war sie am richtigen Ort. Die ersten beiden Jahre ihres Chemieingenieur- Studiums werden Thoma als entbehrungsreiche Zeit in Erinnerung bleiben. «Leider erkannte ich etwas zu spät, dass ich, anders als im Gymnasium, nicht mehr zu den besten gehörte.» Nach dem ersten Semester kam die Einsicht: Wollte sie das Studium erfolgreich abschliessen, so musste sie sich voll und ganz darauf konzentrieren. Dies obwohl sie anders als ihre ausschliesslich männlichen Klassenkameraden kein Chemie-Nerd war. Trotz jovialen Sprüchen von Professoren, trotz wenig Solidarität in der Klasse – Thoma hielt durch. «Diese Zeit hat mich geprägt und war sehr wichtig für meine weitere Laufbahn. Denn es gibt in jeder Karriere schwierige Situationen, wo es sich lohnt, den Bettel nicht sofort hinzuwerfen.» Eine Eigenschaft, die sie an der heutigen Generation Y leider etwas vermisst.
«Es gibt in jeder Karriere schwierige Situationen.»Suzanne Thoma
Mit einer löblichen Ausnahme, wie sie betont: «ETH-Absolventen,
die sich mit mittelmässigen Noten durchs Studium kämpfen mussten, stellen wir bei der BKW gerne an.» Nach dem Studium entschied sich Thoma für ein Doktorat. Dies obschon ihr jegliche akademischen Ambitionen fehlten. «Aber ich wollte in einem Grossunternehmen arbeiten und in der Chemie war man damals ohne ‹Dr.› niemand.» Während dreier Jahre forschte sie an der Verbesserung von Mischsystemen beim Aufskalieren von Produktionsreaktoren. Neben der praktischen Arbeit an den teils Kubikmeter-grossen Kesseln besuchte sie eine zweijährige Wirtschafts- Zusatzausbildung. Trotz der Doppelbelastung war es eine Zeit der Entspannung: Thoma lernte ausländische Kolleginnen kennen, die fürs Doktorat an die ETH gekommen waren. Und auch für Diskussionen über Wirtschaft und Politik blieb wieder mehr Zeit. 1990 trat sie ihren ersten Job als Verfahrenstechnikerin bei der Ciba Spezialitätenchemie AG (heute BASF AG) in Basel an. Ihr Chef schickte sie bald für zwei Jahre nach Taiwan, wo sie ein Produktionswerk für Kunststoff-Additive in Betrieb nahm. Eine technische, organisatorische, regulatorische und kulturelle Herausforderung – ganz nach Thomas Gusto.
Die Strategie ging auf
Nach der Rückkehr in die Schweiz erhielt sie ein verlockendes Angebot: eine neue, betriebsinterne Stelle im Bereich Investor Relations. Sie hätte eng mit der Geschäftsleitung zusammengearbeitet, wäre in der Weltgeschichte herumgereist und hätte spannende Menschen getroffen. Doch Thoma entschied sich für das Gegenangebot aus ihrer Gruppe: Zurück ins Applikationslabor, wo sie künftig Probleme der Kundschaft bearbeiten würde. «Ich staune heute manchmal noch über meinen damaligen Entscheid», resümiert Thoma. «Aber ich hatte damals realisiert, dass es wichtig ist, zumindest einen Bereich des Geschäfts bis in die Tiefe zu verstehen. Wer immer nur in der Helikopterperspektive bleibt, hat langfristig zu wenig Kenntnis vom Geschäft. » Ihre Strategie ging auf: Vier Jahre später wurde sie zur Leiterin ihrer Geschäftseinheit befördert und führte fortan 250 Mitarbeiter. Die Karriere nahm nun rapide Schwung auf. Es folgte eine Beförderung in eine grössere Geschäftseinheit, dann in den Stab des damaligen CEOs, sie verliess die Ciba Spezialitätenchemie AG und wurde CEO der Rolic Technologic AG sowie später Leiterin des Automobilzuliefergeschäfts der WICOR Group.
«Ich staune heute manchmal über meinen damaligen Entscheid.» Suzanne Thoma
Fürsprecherin der Energiewende
«Irgendwann suchte ich wieder eine breitere Herausforderung und einen stärkeren Bezug zu grossen gesellschaftlichen Themen», erzählt Thoma. 2010 stieg sie als Konzernleitungsmitglied und Leiterin Netze bei der BKW ein. Drei Jahre später folgte der Aufstieg zur CEO. Thoma leitete eine grundlegende Transformation der BKW ein und definierte die Unternehmensstrategie neu. Dazu gehörten auch Änderungen in der Konzernleitung und der zweiten Führungsebene. Die «Bilanz» nannte sie daraufhin «die Ausputzerin ». Seit Amtsantritt fällt Thoma als Verfechterin der Energiewende auf. Sie traf auch den Entscheid, das Atomkraftwerk Mühleberg bis 2019 vom Netz zu nehmen und dieses rückzubauen. «Aber verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin keine Sozialromantikerin. Meine Aufgabe als CEO ist es, die BKW zukunftsfähig zu machen und ihr Wachstum zu sichern.» Und dafür sei die Energiewende eine wichtige Basis. Nicht nur für den Umbau der Energieversorgungs- Infrastruktur macht sich Thoma heute stark, sondern auch für die Vereinbarkeit von Karriere und Familie. Zwar fand sie es in der Vergangenheit anstrengend, als erfolgreiche Frau oft gleich all ihre Kolleginnen mitrepräsentieren zu müssen. Doch mittlerweile nutzt sie ihre Rolle als Botschafterin sehr bewusst. «Ich habe mich damals geweigert, mich für Familie oder Karriere zu entscheiden.» Heute wolle sie jungen, ambitionierten Frauen zeigen, dass sie mit diesem Entscheid glücklich wurde. Thoma hat selbst zwei erwachsene Töchter. Beide sind in die Fussstapfen ihrer Mutter getreten und studieren an der ETH Zürich. «Darauf bin ich schon mächtig stolz», gibt die ETH Alumna unumwunden zu.
ZUR PERSON
Suzanne Thoma hat an der ETH Zürich Chemieingenieurtechnik studiert und promoviert. Sie war gut zehn Jahre für die Ciba Spezialitätenchemie AG (heute BASF AG) in leitenden Funktionen im In- und Ausland tätig. Als CEO der Rolic Technologies AG führte die ETH Alumna ein auf High-Tech-Materialien und Technologielizenzen spezialisiertes Start-Up, das vor allem asiatische Elektronikkonzerne beliefert. Bis 2009 führte Thoma das internationale Automobil-Zuliefergeschäft der WICOR Group in Rapperswil. Seit 2010 ist sie Mitglied der Konzernleitung der BKW AG; 2013 wurde Thoma zur CEO gewählt.