Jan Freihardt: «Welche Rolle hat die Wissenschaft bei der Bewältigung unserer Zukunftsaufgaben?»

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Jan Freihardt schloss an der ETH je einen Master in Umweltingenieurwissenschaften sowie in Science, Technology and Policy ab. Aktuell arbeitet er an seinem Doktor zum Thema der Umweltmigration. Zurzeit arbeitet er in Bangladesch an einer Feldstudie, um Antworten auf Migrationsfragen und Bewältigungsstrategien im Kontext des Klimawandels zu finden.

von Sibylle Schuppli
Jan Freihardt

Du hast an der ETH Zürich einen Master in Umweltingenieurwissenschaften und Science, Technology and Policy (STP) absolviert. Was hat Dich zu einem Studium an der ETH Zürich inspiriert?

Schon zu Schulzeiten dachte ich darüber nach, an der ETH zu studieren – vor allem aufgrund meines Interesses für Technik und des guten Rufs der ETH in diesen Fächern. Für den Bachelor entschied ich mich für die Technische Universität in Berlin. Ich verbrachte dann mein Austauschjahr an der EPFL in Lausanne. Die Lernumgebung fand ich sehr fordernd, aber auch fördernd. Die meisten meiner Freunde und Freundinnen aus Lausanne wechselten für den Master nach Zürich. Das motivierte mich, den Master in Zürich aufzunehmen. Ich bin extrem froh, dass es mich von Berlin nach Zürich verschlagen hat. Den Master in Zürich zu machen war insofern nicht überraschend. Den Schritt habe ich auch nie bereut.

Aktuell arbeitest Du an der ETH an Deinem Doktor zum Thema Umweltmigration. Womit beschäftigst Du Dich?

Wir wissen, dass der Klimawandel drastische Auswirkungen auf Ökosysteme haben wird. Dies wird auch Millionen von Menschen betreffen, deren Leben von diesen Ökosystemen abhängig ist. Menschen in Europa, welche von der Landwirtschaft oder von Schnee in den Alpen abhängig sind, spüren die Veränderungen schon heute. Und die Probleme werden in Zukunft noch wachsen.

Im globalen Süden ist dieser Effekt noch stärker spürbar. Ich bin aktuell in Bangladesch, hier sind 43 Prozent der Menschen in der Landwirtschaft tätig. Wir hören oft von der klimabedingten Migration, teilweise kursieren in den Medien Schreckensszenarien. Politisch passt das Thema natürlich in eine gewisse Agenda. Aus wissenschaftlicher Sicht sind aber noch viele Fragen ungeklärt. Wir wissen beispielsweise nicht, wie viele Menschen tatsächlich migrieren und wohin. Wir wollen mit einer Fallstudie in Bangladesch belastbare Daten generieren, wie viele Menschen nach einschneidenden Umweltveränderungen migrieren. Wir möchten also Migrationsfragen mit einer neuen Methodik beleuchten und hoffen, Sachlichkeit in den Diskurs zu bringen.

Wie seid Ihr darauf gekommen, die Studie in Bangladesch durchzuführen?

Bangladesch ist schon heute stark vom Klimawandel betroffen – an der Küste durch Zyklone und steigende Meeresspiegel und die damit einhergehende Versalzung; im Landesinnern brechen aufgrund der Monsunregenfälle jedes Jahr riesige Teile der Flussufer weg, was ganze Dörfer zum Verschwinden bringt.

Wir führen Interviews mit den Menschen, die an einem der grössten Flüsse leben, aktuell sind wir kurz vor dem Monsun. Während des Monsuns wird wohl ein Teil der Menschen betroffen werden, ein Teil nicht. Nach dem Monsun werden wir versuchen, all diese Menschen wiederzufinden. Wir möchten wissen, wo sie sind, was die Auswirkungen sind, wie sie sich angepasst haben. Da die Selektion «natürlich» passiert, können wir Betroffene und Nicht-Betroffene direkt vergleichen.

Du bist Vorsitzender des Vereins Wissenschaf(f)t Zukünfte. Worum geht es?

Wir sind ein junger Verein, zusammengesetzt aus Studierenden und Doktorierenden. Wir möchten für Studierende und junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Räume schaffen, in denen sie sich über ihre Rolle in der Gesellschaft austauschen können. Zusätzlich möchten wir das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft aktiv reflektieren. Medial wird die Aufgabe der Wissenschaft im Zusammenhang mit Themen wie dem Klimawandel oder der Coronapandemie verstärkt diskutiert. Das sind Aspekte, welche im Studium nicht vorkommen. Im Studium werden sehr viele implizite Annahmen vermittelt wie Wertneutralität oder dass man als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler nicht politisch Stellung beziehen darf. Diese normativen Aussagen sind historisch gewachsen, aber kein Naturgesetz.

Gleichzeitig sind all das zentrale Fragen, vor allem mit Blick auf die grossen Herausforderungen unserer Zeit. Welche Rolle hat die Wissenschaft bei der Bewältigung dieser Zukunftsaufgaben? Reicht es aus, wenn die Wissenschaft ihre Ergebnisse an die Politik liefert und ihr dann die Umsetzung überlässt? Viele, wie auch ich, sind der Meinung, dass seit geraumer Zeit beim Klimawandel viel schief läuft. Mögliche Lösungsstrategien gibt es schon seit Jahrzehnten. Bis vor wenigen Jahren ist aber eigentlich nichts passiert. Vor diesem Hintergrund entstand vor einigen Jahren im deutschsprachigen Raum das Konzept der «transformativen Wissenschaft». Das bedeutet, dass Wissenschaft sich viel stärker und aktiver in diese gesellschaftlichen Veränderungsprozesse einbringen sollte. Das kann beispielsweise gelingen, wenn die Wissenschaft sich mit allen Interessensgruppen an den Tisch setzt, um Lösungen auszuarbeiten, die im Anschluss von der Gesellschaft auch umgesetzt werden. So soll verhindert werden, dass an der Gesellschaft vorbeigeforscht wird.

Du hast vor Kurzem das Buch «Draußen ist es anders» veröffentlicht. Was hat Dich dazu motiviert?

Eine Freundin und ich waren lange Jahre ehrenamtlich aktiv im wissenschaftlichen Beirat des «Bund für Umwelt und Naturschutz», des grössten Umweltverbands in Deutschland. In dieser Rolle organisierten wir Seminare genau zum eben angesprochenen Thema der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Wir merkten, dass die Thematik gerade bei jungen Menschen auf grosses Interesse stösst. Es fehlte allerdings eine gute Einstiegslektüre in diesen Diskurs. Transformative Wissenschaft ist wie schon erwähnt ein junges Thema und wurde bisher vor allem akademisch aufgearbeitet. Das ist nicht so attraktiv, wenn man gerade erst ins Thema einsteigt.

Wir wollten die positive Energie dieser Seminare aufnehmen und das Thema einer grösseren Gruppe zugänglich machen. So entstand die Idee, selbst ein kurzes Buch über die Thematik zu schreiben. Wir reichten unsere Idee beim Münchner oekom Verlag ein, welcher für sein 30jähriges Jubiläum einen Wettbewerb veranstaltete. Der Verlag wählte unsere Idee aus, um sie als Jubiläumsbuch zu publizieren. So machten wir uns auf eine fast zweijährige Reise, während der wir viel recherchierten, aber auch mit zahlreichen Menschen aus verschiedenen Bereichen des Wissenschaftssystems sprachen. Im Buch stellen wir beispielsweise Nischenpioniere vor, welche schon heute die Wissenschaft der Zukunft erproben. Wir möchten andere dazu anregen, über ihre eigene Praxis nachzudenken.

Hast Du einen Tipp für die heute Studierenden?

Der Weg vom Umweltingenieur zum Politikwissenschaftler ist erst einmal nicht selbstverständlich. Für mich war es aber eine sehr bereichernde Erfahrung. Lösungsansätze für unsere Probleme können nicht rein technologisch oder rein sozialwissenschaftlich gefunden werden, die Perspektiven müssen zusammenkommen. Nur zusammen haben wir eine Chance, tragfähige und mehrheitsfähige Lösungen zu finden. Man kann natürlich mehrere Personen aus verschiedenen Disziplinen zusammenbringen. Wichtig finde ich aber auch Menschen, die selbst mehrere Perspektiven mitbringen.

Während des Studiums ist man noch flexibler als später in der Arbeitswelt. Schnuppert in verschiedene Bereiche hinein, wechselt die Perspektiven. Das kann an der Uni sein, aber auch in einem ehrenamtlichen Engagement. Ich finde, dass das für die eigene Entwicklung sehr wichtig ist. Es kann aber auch für mögliche Arbeitgeber ebenso spannend sein. Ich bin überzeugt, dass dieses Vernetzen von Menschen und Perspektiven in Zukunft immer wichtiger wird.

Wissenschaf(f)t Zukünfte

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