Urban Mining

VECS Chemie Alumni

Am 20. November 2021 trafen sich mehrere Alumnae und Alumni der VECS Mitgliedergruppe, um an einer spannenden Führung über «Urban Mining» teilzunehmen.

von Peter Lüthi
Urban Mining

Am 20. November 2021 versammelten sich acht Alumnae und Alumni der VECS am Bahnhof in Solothurn. Nach einer ersten Begrüssung durch den Leiter unserer kleinen Gruppe, Dr. Roland Widler, der den Anlass organisiert hatte, ging es bald weiter: Mit dem Bus fuhren wir bis zur Haltestelle Luterbach, an der wir ausstiegen und begannen, um die Einzäunung herum zu gehen. Nach zehn Minuten trafen wir auf ein paar weitere Alumnae, Alumni und Begleitpersonen, die mit den Autos gekommen waren, oder den früheren Zug verpasst hatten. Unter den Anreisenden befand sich auch ein neunzigjähriger Alumnus mit seiner Frau. Damit warteten an diesem nebligen und kühlen Samstagmorgen 16 interessierte Personen gespannt auf das Öffnen der Tore. Pünktlich um zehn Uhr bat uns dann der Leiter der riesigen Anlage in den Sitzungsraum.

Topographie

Die ganze heutige Anlage liegt in der Ebene der Flussläufe Aare, Emme und Düngern. Weitab von Besiedelung, aber nicht allzu weit grüsst auf der anderen Flussseite die ehemalige Cellulose-Fabrik Attisholz.

Einleitung

Abfall ist mehr als nur einfacher «Ghüder».
Abfall ist eine wichtige Ressource, aus der die KEBAG Energie in Form von Wärme und Strom produziert. Eine Tonne Kehricht hat einen Energieinhalt von 3'200 kWh. Das ist genug Energie, um den jährlichen Strombedarf eines 2-Personen- Haushalts zu decken. Spezifisch werden wir an diesem Morgen die nasschemische Rückgewinnung kennen lernen und diskutieren.

Neben der KEBA AG befindet sich im Areal die Stiftung ZAR. Die Stiftung ist ein Kompetenzzentrum, das die Prozessentwicklung verschiedener Recyclingverfahren betreibt. Dr. Stefan Schlumberger, ist Chemiker und Leiter des Kompetenzzentrums und hatte sich die Zeit genommen, uns in die Komplexität der nasschemischen Rückgewinnung von Metallen und Phosphor einzuführen. Anhand seines grossen Wissens und Erfahrung erwähnte er in der Präsentation sehr viele hochinteressante Details, was zu ausgiebigem Fragestellen und Diskussionen von uns führte. Auch die Problematik der Filterschlacke wurde fast politisch debattiert. Zu den Metallen lässt sich auch sagen, dass man von einem regionalen Bergwerk sprechen kann, da von Zink bis Gold sechstausend Tonnen verschiedene Metalle jährlich aus dem Abfall zurückgewonnen werden können.

KEBAG AG

Die KEBAG AG wurde 1976 gegründet und ist heute die zweitgrösste Kehrichtverwertungsanlage der Schweiz. 29 Kehrichtverwertungsanlagen (KVAs) existieren in der Schweiz. Das Unternehmen gehört 131 Aktionärtsgemeinden und verpflichtet sich zu einer wirtschaftlichen und umweltfreundlichen Entsorgung, Behandlung oder Verwertung von brennbaren Abfällen und den dabei anfallenden Rückständen. Jährlich verwertet die KEBAG 221'000 Tonnen Abfall, und über 500’000 Einwohnerinnen und Einwohner profitieren von der KEBAG AG.
Heute besteht die Unternehmung wesentlich aus der Metallrückgewinnung aus Filteraschen, der thermischen Abfallbehandlung und Phosphorrecycling, ein unverzichtbarer Nährstoff für Pflanzen, Tier und Mensch. Die KEBAG AG arbeitet grundsätzlich sowohl für für die öffentliche Hand als auch für private Kunden. Neben der Verbrennung - mit ursprünglichem Hauptzweck Volumenreduktion - engagierte sich die Unternehmung zunehmend in der Rückgewinnung von Wertstoffen, bisher vor allem in der Metallrückgewinnung (Zink!) aus der Flugasche.

In Zukunft soll unter anderem mit demselben Extraktionsverfahren auch Phosphor aus der thermischen Behandlung von Klärschlamm zurückgewonnen werden. Das Einzugsgebiet beinhaltet 184 Gemeinden aus den Kantonen Solothurn und Bern mit 500'000 Einwohnerinnen und Einwohnern. 300 Tonnen hochreines Zink gewinnt die KEBAG jährlich mit einem chemischen Verfahren aus der Filterasche zurück.

Wie kommt man zu diesem Resultat?

Durch verschiedene Verfahren wie unter anderem Dampf, Elektrofilter, nasse Abgasreinigung erhält man die Kesselasche, Filterasche und Schlacke, wobei die Metalle chemisch gebunden werden. 51 Prozent der Filterasche geht auf das Konto von Zink.

Aus der Filterasche kann man mit den zwei Schritten FLUWA (Salzsaure-Leaching) und Schritt 2 FLUREC (Extraktionen etc.) Metallrückgewinnungen erzeugen, was beispielsweise eine Reinheit von mehr als 99.995 Prozent Zink aufweist. Dies ist viel reiner als natürliches Zink. Mit Leaching, Zinkpulver-Zementierung, Zinkrückgewinnung und Abwasserbehandlung hat man einen guten Prozess entwickelt, der auch Swiss Zink Verfahren genannt wird.

Aus dieser Erfahrung ist auf nationaler Ebene die Swiss Zink entstanden und 29 KVAs und der Bund finanzieren ein laufendes Bauprojekt als Branchenlösung, einer nationalen Anlage zur Metallrückgewinnung im Emmenspitz. In 2026 soll die neue Anlage in Betrieb genommen werden.

Phosphorrecycling in der Schweiz

Phosphor kann in seiner Wirkung nicht durch andere Elemente substituiert werden: Es ist ein unverzichtbarer Nährstoff für Pflanzen, Tier und Mensch. Die Vorkommen und Reserven sind auf wenige, geopolitisch instabile Länder begrenzt. Leider gibt es zunehmende Verunreinigung mit Uran und Cadmium. Phosphor ist ein mineralischer Rohstoff, und als Erz ist sein Vorkommen als Rohphosphat (Apatit) handelbar. Die Verwendung von Phosphor ist zu 90 Prozent als Dünger in der Landwirtschaft, oder in Futtermitteln anzutreffen. Höhere Reinheinheiten werden für chemische oder technische Zwecke, Lebensmittel oder beispielsweise Pharmaka eingesetzt.

Unser Phosphorbedarf wird in unseren Schweizer Flüssen unter anderem durch Abfall, Deponien, Kehricht, Grüngut, Pflanzen-Sedimente, Klärschlämme, Asche, Tier- und Knochenmehl zu mehr als der Hälfte gestillt. Ca. 4’500 t/a P Mineraldünger müssen pro Jahr aber zusätzlich importiert werden.

Klärschlamm

In der Schweiz fallen ca. 180’000 Tonnen trockener Klärschlamm an, und die Zahlen sind steigend. Deshalb hat die ZAR Stiftung Ende November 2021 zum Runden Tisch Phosphor Mining Schweiz gebeten. Die ZAR Stiftung hat dazu eine Vision herausgegeben. Wird die Schweiz in 2036 zum Phosphor-Exporteur, oder schaffen wir zumindest die ca. 4’500 t/a P, sodass wir vom Export unabhängig werden? Dabei muss man wissen, dass die primäre Düngemittel-Produktion ein bekanntes Verfahren ist, das bereits 1881 erstmals in der Schweiz mit Rohphosphat und Schwefelsäure industriell eingesetzt wurde. Später konnte die Herstellfirma aber wegen den Entsorgungs- und Umweltproblemen der Rückstände nicht mehr eine eigene Düngerproduktion aufrechterhalten. Die Nachwirkungen der Umweltsünden waren noch Jahrzehnte später spürbar. Dünger im Sinne eines Phosphor-Düngers besteht weitestgehend aus Triplesuperphosphat (1/3 des Phosphors kommt aus dem «Erz», 2/3 aus der Phosphorsäure). Damit ist die Qualität der Phosphorsäure ein wichtiger Parameter. Aus der Sicht der Schweizer Düngemittelindustrie soll man die Phosphor-Recyclingprodukte mit diversen Verfahren wie Granulieren, oder Mineralisieren, TSP zu 46 Prozent veredeln für den Schweizer Markt, und die Phosphorsäure für den Export verkaufen.

Zur Herstellung von 4’500 Tonnen P-Dünger als «TSP» braucht man: 1/3 P aus «KSA» beziehungsweise Tier-/Knochenmehl und 2/3 P aus Phosphorsäure. Für TSP braucht es aber mehr Phosphorsäure mit geeigneter Qualität wegen Verunreinigungen mit Schwefel, Eisen, Aluminium oder anderen Metallen.

Noch viele Hürden sind zu überwinden, Diskussionen und Entscheide in der Stiftung ZAR und den Bundesämtern müssen getroffen werden, bis das Ziel eines vollständigen, vom Ausland unabhängigen Phosphorrecyclings in der Schweiz erreicht werden kann. Nach weit über zwei Stunden mit vielen Fragen und Diskussionen endete die Präsentation von Herr Schlumberger.

Führung durch die Anlage

Da die Zeit drängte, mussten wir rasch die Covid-Maske und Helme anziehen und den Kopfhörer installieren. Dann ging es in einer Kolonne in die laute Anlage. Herr Schlumberger und seine kleine Tochter bemühten sich, uns einigermassen an den interessanten Positionen zusammenzuhalten. Über den Lift und die Treppen liefen wir in verschiedenen Gebäuden rauf und runter, immer mit Erklärungen von Herr Schlumberger, und konnten so die Kesselasche, Schlacke, Filteraschen, Flugaschen aus Distanz betrachten. Auch auf die vielen und komplexen Installationen wurden wir aufmerksam gemacht und es wurden weitere Erklärungen gegeben. Teils konnten die Installationen aus nächster Nähe besichtigt werden.

Türen rein und raus und langsam knurrten unsere Mägen. Eindrücklich war auch der Verbrennungsofen hinter dickem Glas. Die KEBA AG wird im Vierschichtbetrieb ganzjährig betrieben. Im Steuerungsraum waren an diesem Samstag drei Mitarbeiter unter anderem mit der Zerkleinerung des Abfalls beschäftigt, und von weitem sah man ein paar Lastwagen mit Abfall in der Schlange stehen.

Abschluss

Herr Schlumberger rief die etwas müde wirkende Runde nach einer guten Stunde Führung wieder in den Sitzungsraum zurück und nach allseitiger Verabschiedung machten wir uns mit dem Lift wieder nach unten und draussen. Der Anlass war von den Herren Schlumberger und Widler ausgezeichnet organisiert worden.

Im gemütlichen Restaurant «Kantine 1881», das ursprünglich die ehemalige Kantine der Fabrik Cellulose Attisholz ist, wartete um vierzehn Uhr ein wohlverdientes Mittagessen auf unsere Alumnae und Alumni nach einem halbstündigen Uferweg Marsch. Eifrig wurde beim Essen und Trinken weiterdiskutiert.
In Grüppchen begannen die ersten sich nach rund einer Stunde in Richtung Bushaltestelle oder Auto zu verabschieden. Ein sehr gelungener Anlass ging zu Ende.
 

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