Die vielen Hohlräume unter dem Zürcher Hauptbahnhof

Der Hauptbahnhof Zürich ist der Verkehrsknotenpunkt der Schweiz. Seit geraumer Zeit wurde darunter an einem Autobahntunnel gebaut, der nie genutzt werden sollte. Die Reis Alumni haben dieses Autobahnteilstück und andere Hohlräume unter dem HB am 21. April besichtigt.

von Thomas Hug
Hauptbahnhof

Die Unterführung unter dem HB Zürich bei der Europaallee ist die meistgenutzte Personenverbindung des Hauptbahnhofs. Während diese Unterführung viele kennen, ist eins den meisten nicht bekannt: Gleich daneben befindet sich ein Teilstück einer Autobahn, die einmal eine Autoverbindung durch die ganze Stadt hätte werden sollen. Bis in die Nullerjahre wurden an diesem Teilstück immer wieder Teilarbeiten ausgeführt, sodass nun ein grosser Hohlraum besteht.

Die Pläne einer Autobahn quer durch die Stadt sind nun nicht mehr zeitgemäss – deshalb hat dieser Tunnel seine vorgesehene Funktion auch verloren. Die Stadt baut das Bauwerk deshalb in einen Velotunnel um – eine gute Gelegenheit für die REIS Alumni, diesen Hohlraum zu besichtigen, bevor er Ende 2024 dem Veloverkehr übergeben wird.

Mit dem LKW in den Hauptbahnhof

Gleich beim Aufgang zum Gleis 18 findet sich etwas versteckt der Durchgang in diesen Tunnel. Viel zu sehen gibt es eigentlich nicht: Es ist dunkel, feucht und riecht etwas modrig. Doch mit den LED-Scheinwerfern werden die unglaublichen Dimensionen dieses Bauwerkes deutlich. Der Hohlraum ist rund 200 Meter lang und bis zu 25 Meter breit – das Licht der Scheinwerfer verliert sich in der Länge des Tunnels. Neben der Veloverbindung soll auch eine Velostation mit vorerst 1000 Veloabstellplätzen gebaut werden – diese könnte aber in Zukunft auch noch erweitert werden.

Der neue Velotunnel dürfte wohl eines der imposantesten Bauwerke für den Veloverkehr der Schweiz werden – und für einmal ist man froh über die hochtrabenden Autobahnpläne der Vergangenheit. Doch der Velotunnel ist nicht das einzige Bauwerk am HB, das vielen Pendler:innen grundsätzlich verborgen bleibt.

So besichtigten die über dreissig Anwesenden im Anschluss auch den Logistikbereich des Hauptbahnhofs. In einem Zwischengeschoss existiert eine riesige Lager- und Logistikfläche, die von kleinen Strässchen durchzogen wird. Da wird beispielsweise das Reisegepäck oder die Versorgung der Speisezüge organisiert, die jeweils über direkte Zugänge auf die einzelnen Perrons verfügen. In diesem Zwischengeschoss erfolgt auf engstem Raum auch die Anlieferung der verschiedenen Detailhändler. An unterirdischen Rampen konnten wir beobachten, wie die geübten LKW-Fahrer gezielt an die Ladestationen heranzirkeln – der Platz scheint optimal ausgenutzt und kaum ein Quadratmeter verbleibt ohne Funktion.

Früher konnte man übernachten

Der knappe Platz im Untergrund ist auch mit ein Grund, weshalb im Hauptbahnhof Geschäfte dominieren, die weniger auf Frischprodukte angewiesen sind: Sowohl Anlieferzeiten als auch Kühlflächen sind so stark begrenzt, dass für gewisse Läden der Betrieb sehr schwierig ist. Nur grosse Mieter wie Migros oder Coop erhalten Spezialregelungen und dürfen ihre LKWs länger als 30 Minuten im Ladebereich stehen lassen.

Auch auf der anderen Seite des Hauptbahnhofs gibt es einen Querstollen bei der Europaallee, der heute für die Anlieferung verwendet wird. Dieser Stollen trägt auch den Namen Post-Tunnel – denn früher belieferte die Sihlpost die Züge daraus mit der Post, die dann in die ganze Schweiz verteilt wurde. Heute ist die Post aber anders organisiert und so blieb nur noch der Name des Tunnels, der an die Post erinnert.

Daneben gibt es im Untergrund verschiedene Nutzungen, die eigentlich auch für die Öffentlichkeit sichtbar wären, auf die man sich ohne die kompetente Führung der erfahrenen SBB-Leute aber kaum achtet. So gibt es die Bahnhofshilfe, Warteräume oder auch die Bahnhofskirche, die lange besetzt sind. Sie alle erfüllen auch heute noch wichtige Funktionen im HB. Im Warteraum konnte man früher gar übernachten, wenn man den letzten Zug verpasst hatte, so erzählt der Reiseleiter.

Zu guter Letzt trafen wir uns wieder in der Haupthalle. Während viele den schwebenden Engel von Niki de Saint Phalle kennen, konnten die beiden Guides noch mit einer etwas überraschenden Kunstinstallation aufwarten: Das goldene Nichts. Sie ist eine goldene Kugel, die in einer Vitrine im Boden der Haupthalle eingelassen ist und für hundert Jahre da liegen soll. Das Kunstwerk von Dieter Meier wird acht Mal aus der Vitrine entfernt, um eine zwölf Meter lange «Kugelbahn» aus Holz entlangzufahren – das nächste Mal 2033.

Es gibt viel zu entdecken am Hauptbahnhof Zürich – eine Führung lohnt sich sowohl für Verkehrsfachleute als auch für alle anderen Interessierten. Alle Anwesenden werden den Hauptbahnhof nun wohl mit etwas anderen Augen betrachten – ein Jahrhundertbauwerk, das weit über die Eisenbahn hinausstrahlt.
 

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